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27.10.23

IT dreht sich um Menschen, nicht um Computer

Ich habe noch nie verstanden, wie wir es uns leisten können, IT und Menschen getrennt voneinander zu betrachten. Große Leuchtturm-Projekte in der IT-Entwicklung stechen häufig als Durchbruch hervor, wobei die konkrete Anwendung noch gar nicht im vollen Umfang absehbar ist. Selbstfahrende Autos sind die gehypte „revolutionäre Technologie“ in den Medien, aber wir erfahren wenig über den simultanen Nutzen der verbesserten Assistenzsysteme in Fahrzeugen. KI besiegt die besten Poker-Spieler oder Go-Weltmeister; Meilensteine der KI-Entwicklung, aber eben doch nicht das relevant finale Einsatzszenario. Wenn es nur um den Sieg ginge, so gibt es Schachcomputer, die sicherlich hämisch über meine miserable Performance berichten würden, wenn sie denn könnten. Wir rücken oft das technische Szenario in den Vordergrund und vergessen dabei häufig, dass weitreichende reale Veränderungen nicht an diesen Durchbrüchen per se hängen, sondern an den komplementären Einsatzszenarien neuer Technologien im Alltag.

Über dieses Thema bin ich initial in meiner Promotion gestolpert – ich habe erforscht, wie Menschen über digitale Plattformen arbeiten. Dabei war ich immer wieder verwundert, wie simple die Technologie und wie weitreichend die Bedeutung und Veränderungen für das Leben der Menschen sein konnten. Beispielsweise haben Menschen mit Behinderung uns berichtet, dass sie sich so gebraucht fühlen und einen Beitrag leisten können, obwohl sie keinen regulären Arbeitsvertrag haben. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen IT und Lebenswirklichkeit. Wenn man diesen Umstand internalisiert, entsteht ein Perspektivwechsel auf IT. Warum ist der praktische „Goldstandard“ in Excel das Nutzen der SVERWEIS-Funktion? Keinesfalls weil Excel nicht mehr kann, sondern weil die meisten Menschen, die gemeinsam mit Excel arbeiten, einen Konsens brauchen, wie komplex Berechnungen sein dürfen, sodass man diese noch nachvollziehen kann. So betrachtet, scheint mir dies sehr gut nachvollziehbar.

Was im Kleinen auffällt, passiert auch im Großen. Erinnert ihr euch noch an die dystopischen Prognosen zur Digitalisierung? Die Computer und Roboter werden uns alle arbeitslos machen! Heute, gute 20 Jahre später, haben wir noch genug Arbeit. Konkrete Roboteraufgaben im Alltag sind das Staubsaugen und Rasenmähen geworden – ganz ehrlich: Das ist nicht das Horrorszenario, auf das ich medial eingestimmt wurden. Stattdessen prägt jetzt regelmäßig das Thema der schleppenden und aufwendigen Digitalisierung den medialen Diskurs.

Komplexe Anwendungen werden deutlich einfacher, aber eben nicht einfach

“When digital transformation is done right, it’s like a caterpillar turning into a butterfly, but when done wrong, all you have is a really fast caterpillar.” - George Westerman

Dabei nutzt der Mensch immer mehr und immer komplexere IT. Aber dies geschieht eben oft relativ unbewusst. Und dennoch (oder gerade deshalb?) verbinden wir Digitalisierungshoffnung mit neuen Tools, neuer Software und am besten auch gleich mit KI. Hier liegt der fundamentale Denkfehler vom Anfang – effektive Digitalisierung ist nicht das Leuchtturm-Projekt, sondern betrifft oft „langweilig“ Alltagsaufgaben. Praktisch scheitert Digitalisierung viel seltener an der IT als am Menschen..

Was also, wenn ich sage, dass die meisten von uns sofort Tools nutzen könnten, um unseren Arbeitsalltag in Teilen zu digitalisieren? Beispielsweise nutzen die meisten Firmen eine MS Office-Lizenz, die über Power Automate ein Automatisierungs-Tool enthält, welches sehr gut mit vielen alltäglichen Anwendungen zusammenarbeitet. E-Mails automatisch ordnen und beantworten, das automatische Auslesen von Rechnungs-PDFs und Übertragen in eine Excel-Tabelle oder auch das automatische Erstellen von Rechnungen lassen sich mit wenigen Klicks und in kurzer Zeit realisieren. Diese einfache „robotic process automation (RPA)“ Software ist in vielen Lizenzen enthalten, wird oft aber kaum genutzt. In Verbindung mit immens vielen Guides, Tutorials und Videos im Internet, ist diese RPA-Anwendung sogar durch Laien relativ einfach einzusetzen und oft könnte man direkt damit anfangen.

Dies fasziniert mich in meinen Beratungsprojekten immer wieder. Ich versuche, mit Fachabteilungen pragmatische Automatisierungslösungen zu entwickeln. Dabei ist das Lernen im Prozess oftmals viel wichtiger als der eigentliche IT-Einsatz. Fachabteilungen verstehen im Verlauf besser, wie die Prozesse ablaufen, wie die Daten fließen und wo Probleme und Hürden existieren. So ist es viel leichter zu verstehen, warum Schnittstellen, kleine unregelmäßige Prozessabweichungen oder auch manuelle Änderungen hinderlich sind. Mit diesem Verständnis lassen sich Prozesse anschließend einfach optimieren; es braucht nur ein paar mutige und informierte Entscheidungen.

Am besten gefällt mir, dass man so kleine „Inseln“ der Digitalisierung im Arbeitsalltag schafft. An den Insellösungen – die aber alle im gleichen Environment existieren – kann man anknüpfen, um diese auszubauen oder zu verbinden. Man muss nicht immer das ganze Wohl und Wehe der Organisation von der IT abhängig machen; viel lässt sich auch mit kleinteiligen Verbesserungen erreichen. Dies ist das Spannende an meiner Arbeit – Ja, ich arbeite schon irgendwie in der IT, aber ich arbeite vor allem mit Menschen.

Befähigung statt abstrakter Angst vor IT, RPA und KI

“If you want to teach people a new way of thinking, don’t bother trying to teach them. Instead, give them a tool, the use of which will lead to new ways of thinking.” – Richard Buckminster Fuller

Ein letzter Blick zurück auf die dystopischen Prognosen von vor zwei Jahrzehnten: Ist diese Automatisierung eine Bedrohung für Betroffene? Ein klares Nein! Oft handelt es sich bei der Automatisierung um immens monotone Aufgaben, die unnötig Zeit fressen, fehleranfällig sind und denen niemand nachtrauert. Zudem sehen sich die Unternehmen oft einem Fachkräftemangel gegenüber. Wenn es schon schwer genug ist, überhaupt qualifiziertes Personal zu finden und zu binden, dann kann man es sich kaum leisten diese Kapazitäten zu verschwenden.

Viel mehr erlaubt auch der Lerneffekt häufig Aufgaben besser zu machen. Die zusätzlichen Kapazitäten stecken Mitarbeitende in eine Professionalisierung ihrer Tätigkeiten und die neuen Fähigkeiten werden als Bereicherung wahrgenommen. Klar, nicht jeder entdeckt den Nerd und die Leidenschaft für RPA in sich, aber wenn es ein interessantes, lehrreiches und positives Projekt war, freue ich mich natürlich auch immer wieder über eine Zusammenarbeit, um die Digitalisierung weiter auszubauen.

Dr. Kim Strunk ist Manager im Bereich Intelligent Automation bei SKAD. Er berät Unternehmen unterschiedlicher Branchen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse und der Entwicklung entsprechender Softwarelösungen. Er hat zunächst BWL studiert und anschließend in BWL mit Schwerpunkt Management, Personal und Information an der Universität Passau promoviert. Neben seiner Beratertätigkeit forscht er auch weiterhin zur Nutzung von IT-Systemen sowie zu organisationaler Nachhaltigkeit.
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